Es war einmal das Huhn - Wissenswertes um Ei und Gackertier Von Annett Stein, dpa
«Ich wollt', ich wär' ein Huhn», heißt es in einem alten Schlager.
Ein modernes Industriehuhn allerdings sicher eher nicht. Fakten um
die ebenso faszinierenden wie gequälten Eierlieferanten.
Berlin (dpa) - Dieser Tage entsteht wieder viel Kunst ums Ei:
Tausendfach werden die Hühnerprodukte bunt bemalt und eingefärbt.
Höchste Zeit, sich mehr mit den gackernden Osterboten zu
beschäftigen. Im aktuell erschienenen Buch «Es war einmal das Huhn»
gibt die Biologin Astrid Drapela Auskunft. Wussten Sie zum Beispiel,
dass ... ?
Moderne Hühner sind Eierlegemaschinen
Ein Legehuhn produziert bis zu 300 Eier im Jahr. Noch immer kommen
dabei geschätzte 85 Prozent der Eier aus Käfighaltung, wie Drapela
erklärt. Zum Vergleich: Die Wildform des Huhns bringt maximal 5 bis
15 Eier pro Jahr zustande.
Hühner gibt es wie Sand am Meer
Zumindest sind es extrem viele. «Aktuell geht man von etwa 34
Milliarden Hühnern aus, die zu jedem Zeitpunkt auf der Erde leben -
wenn auch meist nicht lange», heißt es im Buch. Das Huhn ist demnach
das häufigste Landwirbeltier der Erde - und das kulinarisch
beliebteste. Hühner gibt es auf allen Kontinenten außer dem Südpol,
Hühnerfleisch wird in so gut wie allen Kulturen verzehrt. Weltweit
werden täglich Abermillionen geschlachtet.
Das Huhn schuf Berufe
In der Römerzeit wurde zunehmend Geschmack an Hühnerfleisch und Eiern
gefunden, vor den Städten entstanden spezialisierte Höfe. «Aus dieser
Zeit stammen wohl auch der Beruf des Schlachters und Fleischhauers
und die Erfindung des Fleischbeils», so Drapela. «Der Erwerb von
Fleisch(stücken) über Märkte in den Städten führte wiederum zu ei
ner
Entfremdung von Mensch und Tier: Tiere wurden zu Ware, Landwirtschaft
wurde zu Wissenschaft.»
Was der Begriff «Cockpit» mit dem Huhn zu tun hat
Eine Version lautet Drapela zufolge: Hähne wurden und werden in
vielen Ländern für schauderhafte Kämpfe aufeinander gejagt. Dafür g
ab
es bei den Briten tiefergelegte Arenen - englisch «cockpit»,
Hahnengrube. Auf alten britischen Segelschiffen wiederum liegt hinter
dem Steuerrad oft eine Vertiefung. Während eines Kampfes wurden dort
die Verwundeten abgelegt - was Zeitzeugen an die «cockpits» zu Hause
erinnerte.
«Da an dieser Stelle ansonsten der Steuermann stand, hieß dieser
Platz, und später dann alle Orte, von denen aus ein Fahrzeug
gesteuert wird, Cockpit.» Eine andere Version lautet, dass der Platz
so genannt wurde, weil dort auf Schiffen zum Zeitvertreib Hähne
aufeinander losgelassen wurden.
Maximal brutal
Das weltweit größte Hahnenkampf-Event gibt es dem Buch zufolge auf
den Philippinen: Beim Slasher-Cup-Wettbewerb fließt über fünf Tage
verteilt bei rund 650 Kämpfen viel Blut. «Die Wetten reichen von ein
paar Hundert zu Zigtausenden Dollar pro Kampf.» Auf den Rängen werden
Geschäftsbeziehungen gepflegt und politische Entscheidungen
getroffen, wie auf den Golfplätzen der USA oder Europas.
Das Huhn im Sport
Als Symbol für Männlichkeit und Angriffslust fand der Hahn Eingang in
den Sport. So ziert er etwa Trikots beim britischen Fußballverein
Tottenham Hotspurs (deutsch: Heißsporne), dem italienischen SSC Bari
(Fußball), den Iserlohn Roosters (Eishockey) oder den Sydney Roosters
(Rugby). Die Tottenham Hotspurs, gegründet 1882, spielten auf den
früheren Ländereien von Lord Harry Hotspur, einem Ritter aus dem 14.
Jahrhundert, wie Drapela erläutert. Bei der Gründung habe man sich
jedoch gegen das Abbild eines Ritters und für das eines
archetypischen Kampfhahns mit Metallsporn entschieden.
Das Huhn, das aus den Tropen kam
Das Haushuhn war ursprünglich ein tropischer Vogel. Es stammt nach
aktuellem Stand der Forschung wohl vom südostasiatischen Bankivahuhn
(Gallus gallus) ab. Die wilden Vorfahren sind gute Flieger und
Gleiter und wesentlich kleiner als das heutige Durchschnittshuhn: Die
Hähne wiegen nicht mehr als ein Kilogramm, die Hennen noch weniger.
Das Huhn als Exot
Von Asien nach Europa gelangten Hühner schon vor langer Zeit, die
ältesten in Italien gefundenen Hühner wurden zum Beispiel auf das 8.
bis 6. Jahrhundert vor Christus bestimmt. Schon bei den Etruskern
dürften vor allem die Hähne als Luxusgüter der Elite großen Eindruc
k
hinterlassen haben, wie es im Buch heißt. «Die damaligen Hähne waren
zwar klein, aber wohl genauso sexuell hyperaktiv, polygam, inzestuös,
unerbittlich laut und überaus kampfwillig gegenüber ihresgleichen wie
die von heute.» In vielen Ländern war das Schlachten von Hühnern
lange Zeit per Gesetz verboten oder tabuisiert.
Hippes Hühnerhalten
Im Zuge der Corona-Pandemie hat die private Hühnerhaltung neuen
Aufschwung bekommen. Aber schon Queen Victoria (1819 bis 1901) war
Hühnerliebhaberin und «ultimative Trendsetterin». Im 18. und 19.
Jahrhundert war Hühnerzucht hip - was für das Huhn letztendlich
verheerende Folgen haben sollte: Es ging - zunächst in den USA -
plötzlich vor allem darum, für die industrialisierte Massenhaltung
geeignete, immer schneller heranwachsende Tiere zu kreieren.
Wie das Huhn seine Farbe verlor
Es gibt beim Huhn unzählige Färbungen, Größen und Formen, weltweit
sind rund 1.600 Hühnerrassen registriert. Lege- und Masthühner aber
sind meist schmucklos weiß. Helle Haut und weiße Federn hätten bei
den Abnehmern der Massentierhaltung mehr Anklang gefunden, erklärt
Drapela. Zudem machen demnach auch schlecht gerupfte Hühner einen
besseren Eindruck, wenn sie hell sind.
Bewegungsunfähige Giganto-Küken
Heutige Broiler sind so sehr auf schnelles Wachstum gezüchtet, dass
sie noch im Kükenalter geschlachtet werden. Das Haushuhn ist «das
einzige Nutztier, das sein Schlachtgewicht von 1,5 Kilogramm in fünf
Wochen erreicht und somit sein Schlüpfgewicht verfünfzigfacht», hei
ßt
es im Buch. Die Tiere länger leben zu lassen, ginge gar nicht, da sie
bei Überschreitung des vorgesehenen Schlachtalters nicht mehr gehen
können. Rettungsversuche von Tierfreunden scheiterten Drapela
zufolge, weil Broiler das Wachstum nie einstellen und spätestens mit
einem Gewicht von etwa fünf Kilogramm an Organversagen oder
Aortenriss sterben.
Fatale Liebe zu Fleisch
Rund 75 Milliarden Broiler wurden im Jahr 2022 weltweit geschlachtet.
Im Durchschnitt sind das rund 140.000 Hühner pro Minute, rechnet
Drapela vor. Die Zahl hat sich seit Anfang der 1960er-Jahre
verzehnfacht. «Geschätzte 16,8 Milliarden Masthühner landen jährlic
h
nicht auf dem Teller, sondern im Müll oder sterben bereits vor der
Schlachtung.»
Hühnergott und Hahnenstein
Es gibt wenige Völker in Westafrika, für die das Huhn nicht das
wichtigste Opfertier ist, oft wird es als Orakel verwendet. Auch in
Europa half es lange bei der Zukunftsdeutung - wie unter anderem das
«Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens» belegt. Wo und wann der
Hahn krähte, wies zum Beispiel auf das anstehende Wetter hin. Das
Krähen vertrieb zudem Dämonen, störte den Teufel, verjagte Hexen und
Gespenster, wie es im Buch heißt. «Wenn kein Hahn mehr nach jemandem
krähen kann, dann ist jede Hilfe aussichtslos.»
Ein Garant für großes Unheil war auch das sogenannte Hahnenei, ein
ganz besonders kleines Ei, meist ohne Dotter. Als Glücksbringer
hingegen galt der Hühnergott: ein Stein mit natürlich entstandenem
Loch, wie er heute noch am Ostseestrand zu finden ist.
Das Huhn als Medikament
Im alten Europa gab es interessante Heilbehandlungen - auch mit Huhn
als Ingredienz. Um Melancholie und Wahnsinn bei Frauen zu heilen,
sollte zum Beispiel eine lebendig der Länge nach halbierte schwarze
Henne auf deren Kopf platziert werden, wie Drapela schildert. Und
schon der Arzt Maimonides pries im 12. Jahrhundert Hühnersuppe als
Medizin gegen fast alles - von Asthma bis Lepra. «Viele amerikanische
Präsidenten wurden in ihren letzten Atemzügen noch mit Hühnersuppe
therapiert: Bei Harrisons Typhuserkrankung sowie Garfields und
McKinleys Schussverletzungen war diese Behandlung leider erfolglos.»
An der Allheilkraft der Hühnersuppe wird bis heute kaum gezweifelt.
Tatsächlich wirkt sie Studien zufolge durchblutungsfördernd und
lindert Angst- und Spannungszustände, wie es im Buch heißt. Inwiefern
Hühnersuppe bei Erkältungen wirklich hilft, war und ist demnach
umstritten. Kleines Extra am Rande: Hühnersuppe begleitete
gefriergetrocknet die ersten Astronauten auf den Mond.
Das Huhn der Zukunft
Wie lange es noch Qualzucht-Hochleistungshühner gibt, hängt von
Politik und Gesellschaft ab. Als Positivbeispiele werden im Buch die
Rondell-Methode als Haltungssystem für Legehennen sowie das
niederländische Start-up Kipster genannt, die Industrie-Hühnern ein
lebenswerteres Dasein etwa mit Sitzstangen, Sandbädern und Auslauf
bieten.
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