Noch kein Mutterschutz für Selbstständige - aber bald? Von Elmar Stephan, dpa
Wenn selbstständige Frauen schwanger werden, bekommen sie weniger
Unterstützung als Angestellte oder Beamtinnen. Die neue
Bundesregierung will das ändern.
Alfhausen (dpa) - Als die Tischlermeisterin Johanna Röh vor drei
Jahren eine Tochter bekam, merkte sie schnell, dass sie als
Unternehmerin mit Kind nicht ins System passt. Denn während
Mutterschutz und Elternzeit bei Angestellten kein Problem ist, ist
die Situation bei Selbstständigen deutlich komplizierter.
Röh engagiert sich seit ihrer eigenen Schwangerschaft dafür, dass
sich das ändert - und freut sich nun über einen Etappenerfolg: Der
Mutterschutz für Selbstständige wurde im Koalitionsvertrag zwischen
Union und SPD aufgenommen.
Was im Papier steht
In dem Papier heißt es auf Seite 104 unter Punkt 3247: «Wir wollen
einen Mutterschutz für Selbstständige analog zu den
Mutterschutzfristen für Beschäftigte einführen.» Dazu sollen zeitna
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umlagefinanzierte Finanzierungsmodelle geprüft und mit der
Versicherungswirtschaft Konzepte für die Absicherung der betroffenen
Betriebe entwickelt werden.
Es bewegt sich also was bei dem Thema. «Wenn ich angestellt gewesen
wäre, dann hätte ich direkt ein Beschäftigungsverbot bekommen, weil
wir schwer heben und mit gefährlichen Stoffen oder vibrierenden
Maschinen arbeiten», sagt Röh. Das Problem: Sie hatte sich erst kurz
vor ihrer Schwangerschaft im niedersächsischen Alfhausen nördlich von
Osnabrück selbstständig gemacht - eine zehnmonatige Pause wegen der
Schwangerschaft hätte das Aus für ihren Betrieb bedeutet.
Keinen gesetzlichen Anspruch auf Mutterschutz
Rechtlich ist die Situation in Deutschland derzeit so, dass
selbstständig tätige Frauen zwar Elterngeld beantragen können, sie
aber weder einen Anspruch auf die gesetzlichen Mutterschutzfristen
noch auf die Zahlung von Mutterschutzgeld haben.
Wer Leistungen will, muss eine private Krankentagegeldversicherung
abschließen. Aber dabei gibt es zahlreiche Ausschlusskriterien -
nicht jede Selbstständige bekommt einen solchen Vertrag.
Wer als Selbstständige freiwillig bei einer gesetzlichen Krankenkasse
versichert ist, erhält zwar während der Mutterschutzfristen
Mutterschaftsgeld in Höhe des Krankentagegeldes der Krankenkasse -
aber nur, wenn der Krankentagegeld-Anspruch mit abgesichert ist.
Petition in den Bundestag eingebracht
Zusammen mit anderen Frauen brachte Röh eine Petition im Deutschen
Bundestag ein. Mehr als hunderttausend Unterschriften seien gesammelt
worden, berichtet die 37-Jährige. Sie habe vor dem Petitionsausschuss
gesprochen - der Ball war ins Rollen gekommen.
Auch ein Verein wurde gegründet, der inzwischen fast dreihundert
Mitglieder in ganz Deutschland habe, sagt Röh. Die Frauen kommen aus
allen Berufsfeldern - denn die Probleme sind für alle Selbstständige
mit Kinderwunsch gleich, ob für eine Ärztin, Rechtsanwältin oder
Handwerkerin.
Kleine Schritte
Es sei für sie und ihre Mitstreiterinnen ein wichtiges Zeichen, dass
ihr Anliegen im Koalitionsvertrag aufgegriffen wurde, sagt Röh. Auch
wenn klar sei, dass es bis zu einer endgültigen Umsetzung noch ein
weiter Weg sei. Jetzt gehe es darum, kleine Schritte zu machen, etwa
erst das Einkommen abzusichern, danach branchenspezifische Lösungen
zu entwickeln. Denkbar seien Betriebshelfer, wie schon in der
Landwirtschaft üblich.
Derzeit ist das Krankentagegeld für Selbstständige die einzige
Möglichkeit der Absicherung. Aber das sei mit vielen
Ausschlusskriterien verbunden, kritisiert Röh, und es decke nur einen
Teil der Lebenshaltungskosten. Betriebskosten seien nicht abgedeckt.
«Fixkosten aufgetürmt»
Sie sei wegen ihrer Schwangerschaft kurz nach Beginn ihrer
Selbstständigkeit monatelang ausgefallen, habe Aufträge deshalb nicht
abschließen können, erzählt die Tischlermeisterin. Die Fixkosten
hätten sich aufgetürmt. «Am Ende war es wirklich so, dass ich erst
anderthalb Wochen vor der Entbindung wusste, okay, ich kann wirklich
zwei Monate Pause machen, ohne meinen Betrieb schließen zu müssen.»
Sinnvoll hält Röh eine Finanzierung über eine Umlage - ähnlich wie
beim Mutterschutz für Angestellte. Diese Forderung wird zum Beispiel
auch vom Verband der Unternehmerinnen in Deutschland geteilt. «Wir
befürworten eine solidarisch umlagefinanzierte Lösung, die alle
Selbstständigen - Frauen wie Männer - einbezieht und der
Lebensrealität selbstständiger Frauen und Unternehmerinnen gerecht
wird», erklärt Verbandssprecherin Viktoria Keltenich.
Überfällige Gerechtigkeitslücke
Mutterschutz für Selbstständige sei keine Frauensache, sondern eine
wirtschafts- und gesellschaftspolitische Notwendigkeit. Die im
Koalitionsvertrag angekündigte Reform schließe eine überfällige
Gerechtigkeitslücke und stärke die Gründungskultur, sagt Keltenich.
Röh hofft, dass die Gleichstellung von selbstständigen und
beschäftigten Frauen beim Mutterschutz noch in dieser
Legislaturperiode umgesetzt wird. Eigentlich hätten sie und ihr Mann
noch gern ein zweites Kind. Aber wegen der schwierigen Situation für
sie als Selbstständige habe sie davon Abstand genommen, sagt Röh.
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