Medikamente und Impfstoffe gegen den Vogelgrippevirus
Relenza und Tamiflu verringern den Schweregrad, Impfstoff noch in Entwicklung
Menschen, die sich mit dem Vogelgrippevirus H5N1 anstecken, sollen die Grippemittel Tamiflu und Relenza helfen. Die Medikamente wurden zur allgemeinen Behandlung der Influenza entwickelt und sind keine speziellen Mittel zur Bekämpfung des Vogelgrippe-Erregers. Je schneller sie gegeben werden, desto wirksamer sind sie. Beide Präparate sind so genannte Neuraminidase-Hemmer. Sie verhindern die Vermehrung der Grippeviren im Körper, indem sie ein Enzym stören, das zum Ablösen neu produzierter Erreger von der sterbenden Wirtszelle benötigt wird.
Der Tamiflu-Wirkstoff Oseltamivir ist nach Angaben des Herstellers Roche der erste Neuraminidase-Hemmer zum Schlucken. Der Relenza-Wirkstoff Zanamivir des Herstellers GlaxoSmithKline muss als Pulver inhaliert werden. Tamiflu ist zwar außer für die Behandlung auch zur Vorbeugung zugelassen. Sowohl der Hersteller als auch Mediziner betonen jedoch, dass das Mittel nicht zur Routine-Prophylaxe gedacht ist.
Die WHO hat im Rahmen ihres Pandemie-Bereitschaftsplans (Pandemic Preparedness Plan) empfohlen, dass die einzelnen Länder Vorräte an antiviralen Medikamenten wie Tamiflu und Relenza anlegen sollen, die gegen sämtliche Stämme von Grippeviren wirksam sind.
Zum Beispiel bewirkt das Medikament Tamiflu:
- eine Verringerung des Schweregrads von Symptomen um 38%,
- einen Rückgang grippebedingter Komplikationen wie Bronchitis, Lungenentzündung und Sinusitis um 67% bei sonst gesunden Personen,
- eine Verkürzung der Grippedauer um 37%,
- eine Schutzwirkung von bis zu 89% gegen den Ausbruch von Grippe bei Erwachsenen und Jugendlichen, die engen Kontakt zu Grippepatienten hatten.
Bei Kindern bewirkt Tamiflu:
- eine Verringerung des Schweregrads und der Dauer der Grippesymptome um 36% (5)
- eine Senkung der Häufigkeit grippebedingter Mittelohrentzündungen (Otitis media) um 44% gegenüber Kindern, die mit Standardmedikamenten behandelt wurden.
Wie bei jedem antiviralen Präparat besteht theoretisch die Möglichkeit, dass sich Influenzaviren bilden, gegen die das Arzneimittel nur beschränkt wirkt. Der Hersteller Roche und das unabhängige Neuraminidase Inhibitor Susceptibility Network (NISN) haben anhand einer umfassenden Überwachung die Häufigkeit einer Resistenz gegenüber Neuraminidasehemmern ermittelt. Von rund 4000 mit Tamiflu behandelten Patienten wurde bei Erwachsenen in 0,4% der Fälle eine Resistenz gegen Tamiflu festgestellt. Bei Kindern im Alter von 1–12 Jahren waren es 4%. Das resistente Virus war weniger ansteckend als der so genannte Wildtyp des Virus und beeinflusste den Krankheitsverlauf nicht.
Am häufigsten wird Tamiflu derzeit in Japan angewendet. So gab es zum Beispiel im Verlauf der Grippesaison 2004/2005 in Japan schätzungsweise 16 Millionen Influenzainfektionen. Annahmen von Roche zufolge wurden rund 6 Millionen an Grippe Erkrankte mit Tamiflu behandelt. Auch bei einem so häufigen Einsatz bilden sich selten Resistenzen.
Roche hat Massnahmen ergriffen, um die Verfügbarkeit von Tamiflu zu erhöhen, damit die wachsende Nachfrage für die weitere Pandemievorsorge gedeckt ist. So wurde in den Jahren 2004 und 2005 die Produktionskapazität verdoppelt und bis 2007 werden über 300 Millionen Packungen pro Jahr - das entspricht einer mehr als zehnfachen Kapazitätserhöhung gegenüber 2004 - hergestellt werden können. Roche hat mit 50 externen Anbietern enge Kontakte aufgebaut und die gegenwärtige Lieferkette übertrifft mit ihrer Kapazität die bislang eingegangen Bestellungen von Regierungsseite. Roche verfügt nun über genügend Produktionsreserven für den Notfall und die Unternehmen, die zur Unterstützung der Produktion vorgesehen sind, werden dazu beitragen, dass das Roche-Liefernetz der künftigen Nachfrage von Regierungsseite entsprechen kann. Ausserdem hat Roche einem chinesischen und einem indischen Pharmaunternehmen Sublizenzen für die Herstellung von Oseltamivir erteilt.
Eine private Bevorratung des Mittels Tamiflu ist seit Oktober nicht mehr möglich. Der Hersteller des Mittels gibt wegen der weltweit riesigen Nachfrage das Medikament über die Apotheken nur noch an Menschen ab, die akut an einer Influenza erkrankt sind.
Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hat die Länder aufgefordert, mehr Medikamente zur Eindämmung einer möglichen Grippepandemie vorzuhalten. "Ich bin schon sehr dafür, dass
wir darüber nachdenken, dass wirklich auch für 20 Prozent der Bevölkerung eine Bevorratung da ist". Schmidt sagte weiter: "Wir haben keine anderen wirksamen Stoffe als hier Tamiflu oder Relenza."
Nach Ansicht des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin ist Deutschland nicht ausreichend auf eine mögliche Grippepandemie vorbereitet. Es habe empfohlen, Medikamentenvorräte für mindestens 20 Prozent der Bevölkerung bereit zu halten. RKI-Präsident Reinhard Kurth zeigte sich verärgert, dass bestimmte Bundesländer eine wissenschaftliche Rechtfertigung suchten, um nicht für 20 Prozent der Bevölkerung solche Medikamente vorhalten zu müssen. "Das sind natürlich nur die
Finanznöte der Länder", sagte Kurth. «Man sollte nicht versuchen, fachfremde Argumente zu suchen, wie Resistenzentwicklung und so weiter, die hier kaum eine Rolle spielt, um zu begründen, dass man nicht das Geld investieren möchte."
Im Fall einer möglichen Vogelgrippe-Pandemie reichen die Medikamentenvorräte in vielen Bundesländern derzeit allenfalls für 10 Prozent der Bevölkerung. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und das Robert Koch-Institut empfehlen eine Bevorratung antiviraler Mittel wie Tamiflu und Relenza für 20 Prozent aller Bürger.
Der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Sachsen-Anhalts Ressortchef Gerry Kley (FDP), kritisierte Schmidts Forderung: "Es ist etwas ungewöhnlich, wenn jemand, der sich finanziell nicht an den Kosten für die Bevorratung beteiligt, solche Forderungen erhebt." In Sachsen-Anhalt stehen für 5,6 Prozent der Bevölkerung antivirale Medikamente zur Verfügung. Die Medikamente sollen zunächst diejenigen erhalten, die wegen hohen Alters oder Vorerkrankungen besonders gefährdet wären.
In Mecklenburg-Vorpommern, wo mehr als 100 infizierte Wildvögel registriert wurden, reichen derzeit die Grippemittel-Vorräte für etwa 6 Prozent der Bevölkerung. Das Land hatte 99 000 Einheiten Tamiflu erworben. Damit sollen gefährdete Menschen wie Ältere, Kranke und Kleinkinder sowie Krankenhaus- und Sicherheitspersonal versorgt werden.
Nordrhein-Westfalen hat für 30 Prozent der Bevölkerung Tamiflu bestellt. Momentan sei das Medikament für 6 Prozent der Bürger vorrätig. Hessen stockt seine Vorräte an Tamiflu und Relenza ebenfalls auf. Auch dort wird die Bevorratung auf Mittel für 30 Prozent der Bevölkerung erhöht. Bisher hat das Land Vorräte nur für 8 Prozent der Hessen. In Baden-Württemberg werden 800 000 Einheiten Tamiflu vorgehalten. Bei Ausbruch einer Pandemie könnten damit 7,6 Prozent aller Bürger versorgt werden. Das Mittel ist gedacht für Personal in Kliniken und bei Rettungsdiensten, ältere Menschen, Kinder und chronisch Kranke. Die derzeitige Bevorratung für die rheinland-pfälzische Bevölkerung liegt bei 12,3 Prozent. Das Saarland hat zur Zeit für den Fall einer Vogelgrippe-Pandemie für zehn Prozent der Bevölkerung antivirale Medikamente auf Lager.
Bayern hat bislang rund eine Million Dosen Tamiflu vorrätig. Das Kabinett beschloss am Dienstag, den Medikamentenvorrat für dann 20 Prozent der Bevölkerung aufzustocken. Medikamente sollen bei Bedarf zunächst an alle Menschen ausgeben werden, die sie brauchen. Für Ärzte, Pflegepersonal und Sicherheitskräfte gebe es eine Reserve.
Das Land Niedersachsen hat eine Notfallreserve von 500 000 Einheiten antiviraler Medikamente, womit etwa 7 Prozent der Bevölkerung versorgt werden können. Die Tamiflu-Vorräte des Landes sollen im Notfall zunächst an medizinisches Personal und Einsatzkräfte ausgegeben werden, außerdem an Menschen mit besonderen Risikofaktoren.
In Rheinland-Pfalz reichen die Medikamenten-Vorräte für 12,3 Prozent, in Schleswig-Holstein für 6,3 Prozent, in Sachsen für 8,7 Prozent, in Bremen und Brandenburg für jeweils 7 Prozent, in Thüringen für rund 10 Prozent und in Berlin für 7,2 Prozent der Bevölkerung.
Der Schweizer Pharmakonzern Roche hält weiter an seinen Plänen zur Ausweitung der weltweiten Tamiflu-Produktion fest, sagte ein Sprecher am Dienstag in Basel. Die Zahl der Behandlungseinheiten pro Jahr soll demnach von zuletzt 55 Millionen bis Ende 2006 auf mehr als 300 Millionen gesteigert werden.
Warnungen vor Fälschungen des Grippemittels Tamiflu
Von dem hauptsächlich vom Schweizer Pharmakonzern Roche hergestellten Grippemittel Tamiflu sind Fälschungen im Umlauf. Das teilte die staatliche schweizerische Überwachungsbehörde für Heilmittel, Swissmedic, am Mittwoch in Bern mit. Von Tamiflu wird erwartet, dass es auch bei einer durch die Vogelgrippe ausgelösten Grippe-Pandemie wirksam sein könnte. Vermeintliche Generika des Medikaments seien in den USA, Taiwan, Großbritannien und den Niederlanden aufgetaucht.
Die Präparate wurden von Privatpersonen über das Internet bei Lieferanten aus dem asiatischen Raum bestellt. Sie enthielten statt des Wirkstoffs Oseltamivir nur Vitamin C, erklärte die Behörde. Bislang gebe es keine Generika, also Nachfolgepräparate, des Mittels Tamiflu, hält das Schweizer Heilmittelinstitut fest.
Wegen der Möglichkeit einer Vogelgrippe-Pandemie ist die Nachfrage nach dem Grippemittel Tamiflu weltweit groß. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat empfohlen, dass die Staaten etwa für ein Viertel ihrer Bevölkerung einen Vorrat des Medikaments anlegen sollten. Von privater Vorsorge wird jedoch abgeraten.
Lancet: Impfstoff verhindert Vogelgrippeinfektion - Labortest bei Mäusen
US-Forscher haben einen Vogelgrippe-Impfstoff entwickelt, der einer tödlichen Grippepandemie nach ihrer Einschätzung Einhalt gebieten könnte. Das Vakzin schützte Mäuse, die im Labor mit verschiedenen Stämmen des auch für Menschen gefährlichen H5N1-Virus infiziert wurden, vor einer Erkrankung. Suryaprakash Sambhara und Kollegen von der amerikanischen Seuchenbehörde CDC in Atlanta stellen den experimentellen Impfstoff im britischen Ärztejournal «The Lancet» (DOI: 10.1016/S0140-6736(06)68076-8) vor.
Da die konventionelle Grippeimpfstoffproduktion viel Zeit benötigt und jeweils nur für einen zuvor bestimmten Erregerstamm funktioniert, bediente sich das Team eines alternativen Verfahrens. Nach dem traditionellen Verfahren müsste der Virusstamm zunächst isoliert und dann in Milliarden befruchteter Hühnereier herangezogen, gereinigt und für die Impfstoffherstellung abgetötet werden. Dieser Prozess würde wenigstens sechs Monate in Anspruch nehmen, schreiben die CDC-Forscher in «Lancet».
Dagegen benutzten Sambhara und Kollegen ein gentechnisch verändertes Schnupfenvirus (Adenovirus), das den Subtyp 5 des Virusproteins Hämagglutinin (H5HA) produziert. Dieses Protein ist auch ein Bestandteil des Vogelgrippeerregers H5N1. Dann impften die Forscher eine Gruppe von Mäusen mit dem H5HA-Vakzin und eine zweite Gruppe zur Kontrolle mit einer wirkungslosen Salzlösung, bevor sie beide mit Vogelgrippeviren aus den Jahren 2003 und 2004 infizierten.
Zur Zufriedenheit des Teams blieben die mit H5HA geimpften Tiere vom Grippetod - und sogar von Gewichtsverlust - verschont, obwohl sie nur wenige neutralisierende Antikörper gegen den Erreger entwickelt hatten. Analysen ergaben, dass das H5HA-Vakzin die Bildung spezifischer T-Immunzellen gefördert hatte, die den Mäusen half, sich gegen die Vogelgrippeinfektion zu erwehren.
Dieser Ansatz könne sich als tragfähige Impfstoffstrategie gegen existierende und künftige hochpathogene Vogelgrippeviren erweisen und zeige zudem eine praktikable Option für die Vorratsproduktion von Impfstoff gegen eine Grippepandemie, meinen die Forscher.
dpa, eigene Recherchen